Austrittsschreiben an den BDÜ Landesverband Berlin-Brandenburg e. V. datiert 4. Oktober 2021

Liebe Frau Dallmann, sehr geehrte Kollegen,

hin- und wieder habe ich (nicht nur beim BDÜ) bemängelt, dass keine Mitteilung (etwa im Rundbrief) erfolgt, wenn langjährige Mitglieder den Verband verlassen. Man sucht einen Kollegen, den man ein paar Jahre vorher flüchtig kennengelernt hat, findet ihn auf einmal nicht mehr in der Datenbank. Also meine Bitte, diese Kündigung nicht als Verschlusssache zu behandeln.

Ich übersetze gewerblich nur noch wenig, ich erhalte eine ausreichende Altersrente, vor allem aber erlaubt mir mein Sehvermögen nicht mehr, vieles im BDÜ bequem mitzulesen. So kommt eine Lektüre des MDÜ schon lange nicht mehr in Frage, es sei denn, es handelt sich um ein Thema, für das ich mich besonders engagiere. Nicht viel anders ist es bei meinBDÜ: auch bei Ausschöpfung aller Vergrößerungsmöglichkeiten ist es anstrengend oder umständlich (Notlösungen habe ich ja), Meldungen zu lesen. Außerdem sind diese selten den Aufwand wert. Es handelt sich im Übrigen um Unzulänglichkeiten der Informatik, unter denen andere Plattformen in anderen Ländern nicht leiden.

Vor diesem Hintergrund ist für mich die Zeit gekommen, aus dem BDÜ auszutreten (wie ich dies letztes Jahr bei ADÜ-Nord getan habe).

Allerdings will ich anmerken, dass auch andere Überlegungen mitspielen. So muss ich leider feststellen, dass seitens der entsprechenden Gremien, aber auch unter Kollegen, so gut wie kein Interesse bestanden hat, wenn ich mich konstruktiv im Sinne des Berufsstandes gemeldet habe. Es handelt sich zum Beispiel um mein Konzept des „Zeilenwertes“, ein Konzept, das ich seit meinem Vortrag dazu im Jahre 2012 bei „Übersetzen in die Zukunft“ mit der Forderung ausgebaut habe, Software-Messlatten für die semantische und grammatikalische Dichte von Texten zu entwickeln. Somit würden wir uns nach & nach von der Zeilenzählerei befreien und endlich sauber abrechnen können. Es bleibt mir ein Rätsel, dass diese durchdachten Vorschläge kaum Gehör gefunden haben.

Ein weiteres Beispiel ist die Handhabung der Berufsethik. Über Jahrzehnte hinweg habe ich mich intensiv mit dieser Thematik befasst. Als vor vielen Jahren ein neuer Kodex erarbeitet werden sollte, habe ich mich entsprechend konstruktiv und zeitgemäß gemeldet. Der BDÜ hat es vorgezogen, meine Eingaben zu ignorieren und stattdessen Anwälte zu konsultieren – d.h. einen Berufsstand, der von Recht alles und vom Gegenspieler zur rechtlichen Vorgehensweise – nämlich der Ethik – nichts versteht. Das Ergebnis ist ein Armutsbeweis. Es handelt sich um Kodizes, denen ich mich nicht verpflichtet sehe.

Meine „Übersetzer“-Website http://www.language-for-clarity.de werde ich weiterführen. Sie soll u.a. eine Fundgrube an Hilfestellungen für Kollegen sein, die meine Inhalte gerne übernehmen dürfen. Dort stehen auch erschöpfend meine Ausführungen zu den oben erwähnten Themen.

Vier weitere Websites von mir befassen sich mit Grundsätzen der Demokratie, mit der Philosophie und vor allem mit der Ethik. Dies ist auch für mein Schlusswort hier von Belang. Seit anderthalb Jahren wird der Rechtsstaat systematisch zerstört – diesmal nicht nur in Deutschland, wie nach Januar 1933, sondern global. Der BDÜ kümmert sich mittlererweile um die Bedingungen für vereidigte Dolmetscher & Übersetzer...

Zur Ethik gehört, dass man über den eigenen Tellerrand hinausschaut, wenn dies ausnahmsweise erforderlich ist. Einen solchen Ausnahmezustand erleben wir derzeit. Ich stelle leider fest, dass – wie fast alle Berufsstände – der BDÜ dieser Herausforderung konfliktscheu ausweicht.

Eine Kopie dieses Schreibens werde ich auf meiner Website www.language-for-clarity.de veröffentlichen.

Über eine Weitergabe von Auszügen Ihrerseits würde ich mich freuen.

Mit kollegialen Grüßen
Paul Charles Gregory

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Es handelt sich nachfolgend um zwei Metaphern, die im Jahre 2012 anlässlich einer BDÜ-Konferenz im Flier des BDÜ-Berlin-Brandenburg veröffentlicht wurden.
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Die Sätze umpacken

So war das Auslandsreisen früher. Man hat alles schön beieinander in die drei Koffer und die Handtasche gepackt. Und so eine schöne Handtasche mit sieben Fächern: kleine für die kleinen Gegenstände und größere für die sperrigen, alles genau passend. Und ähnlich elegant auch bei den drei Koffern gelöst.

Dann kam man an die Landesgrenze, da ging es mit der Zollabfertigung los. Die meisten Einfuhrgegenstände wurden genehmigt, auch wenn wir die Inhalte etlicher edlen Flaschen in andere Behälter umfüllen mussten. Abgelehnt wurden lediglich vier Gegenstände, und zwar immer die drei Koffer und die Handtasche. Die Behörde kam uns freilich entgegen. Zum Beispiel wurden uns zwei kleinere Koffer und zwei riesigen Plastiktüten zur Verfügung gestellt, und zwei Handtaschen mit jeweils vier Fächern mittlerer Größe.

Da hat es aber viel Zeit, Erfindungskraft und Kunst gebraucht, um alles so unterzubringen, dass es alles nur halbwegs schnell wieder aufgefunden werden konnte. Ohne zerquetscht oder verbogen oder zerknittert zu werden. Und mit der Eleganz war es ohnehin meistens vorbei.

Mal haben wir auf ein paar Sachen verzichtet, wenn sie nicht sonderlich wertvoll waren. Oder nachher war die Handtasche dermaßen gebeult, ihre Fächer geplatzt, dass unsere Siebensachen nicht mehr säuberlich getrennt waren, und so haben wir die Tasche weggeschmissen. Manche haben uns das übel genommen. Tja, so war das Reisen früher, wenn man sich von einer Insel zur anderen übersetzen wollte und man in jedem Land eigene Sprache sprach.

Wie wir uns fit halten

Einige von uns wohnen in alten zweistöckigen andere in dreistöckigen, und einige wenige in mehrstöckigen Häusern. Keiner wohnt so in einem Bungalow, oder mit Aufzügen, oder in sauberem, ergonomen Neubau, Jedes Stockwerk ist anders ausgelegt, da muss man sich immer wieder kurz neu orientieren,

Somit alle paar Minuten eine Treppe hoch, eine Treppe gleich unten, und auch mal eine doppelte Treppe hochlaufen.

Damit bleiben wir eigentlich recht fit. Allerdings schon bald erschöpft wenn nicht schwindelig.

Das verstehen die Bungalowbewohner nicht. Diese sagen sich: Mal in die Küche gehen, ein Kleidungsstück ins Schlafzimmer bringen, das schmutzige Geschirr vom Wohnzimmer holen, etwas kurz abschreiben, da kann man ruhig den ganzen Tag zugange sein, ohne so richtig zu ermüden.


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Brief veröffentlicht im MDÜ

Zur Messung der sprachlichen Komplexität:
Algorithmen vonnöten

Übersetzer und deren Auftraggeber brauchen dringend eine objektive Bemessungsgrundlage für ihre Aufgaben. Eine Messlatte nach Zeilen oder Wortzahl lässt mit das Wichtigste – nämlich die semantischen und grammatikalischen Aspekte – völlig außer Acht.

Die Bemessung wird u.a. für Aufgaben gebraucht, deren Komplexität unübersichtlich ist. Zum Beispiel sind die Ausgangstexte noch nicht geschrieben oder sind diese sehr umfangreich. Zehn gut geschriebene Seiten lassen sich schnell und zufriedenstellend übersetzen, die nächsten zehn (etwa von einem anderen Autor) unmöglich (d.h. weder schnell noch zufriedenstellend).

Die Notlösung einer Abrechnung nach Stunden hat rein rhetorischen Charakter und somit fällt sie aus. Der Kunde kann die Anzahl der Stunden kaum kontrollieren, ebenfalls nicht, wie intensiv oder produktiv diese geleistet werden, noch wissen alle Übersetzer, wie lange sie tatsächlich an einer Aufgabe mit welcher Aufmerksamkeit gesessen haben.

Eine seriöse vorgelagerte Einschätzung des Arbeitsaufwandes für die Übersetzung von zehn oder hundert Seiten braucht selbst viel Zeit. Mit Überfliegen ist es zuverlässig nicht getan. Im heutigen Geschäftsklima wird diese Arbeit selten bezahlt, obwohl immer öfter eine Preisbindung im voraus verlangt wird. Das Angebot kommt demnach einem Glücksspiel gleich.

Mit meinem Konzept des Zeilenwertes habe ich vor Jahren einen ersten Schritt getan. Danach werden problematische Sätze und Termini mehrfach gezählt aber Passagen, die praktisch keine Bearbeitung bedürfen, geringfügig. Der Nachteil des „Zeilenwertes“ liegt darin, dass der Endpreis erst nach getaner Arbeit feststeht. Er kann zudem leicht angefochten werden.

Eine verwandte Branche ist weiter als wir, wenn auch mit teils entgegengesetzten Zielvorgaben. Bei u.a. http://www.schreiblabor.com/textanalyse/ kann ein Text in Sekundenschnelle kostenlos u.a. mit folgenden Kennzahlen ausgewertet werden: Anzahl verschiedener Wörter und der langen Wörter, Anteil der langen Sätze.

Man bestimme mit diesen Eckgrößen verschiedene Wortpreise je nach Kategorie und Überschneidung sowie einen Aufpreis für die überlangen Sätze. Mit dieser Übergangslösung können ansonsten bereits jetzt Erfahrungswerte gesammelt werden, um später dann die Berechungsgrundlage dem eigentlichen Arbeitsaufwand besser anzupassen.

Wie geht es weiter, damit die Kennzahlen auf unsere Zwecke abgestimmt werden? Bei der Entwicklung einer (dann wohl bezahlte) Software bräuchte man zunächst die Einbindung von kleineren und größeren Wörterlisten. Somit kann die „Semantik“ statistisch festgestellt werden – das heißt, mit Aussagen zur Vielfalt aber auch zum Niveau des Vokabulars.

Die Komplexität des Satzbaus („Grammatik“) dürfte bei der Bemessung schwieriger sein. Wenn aber halbwegs vorzeigbare Maschinenübersetzung möglich ist, so ähnliches hier auch.

Es ist dies die stark verkürzte und abgeänderte Fassung eines Essays bei http://www.language-for-clarity.de/deutsch/zur_Messung_d_sprachl_K.html . Dort wird nuancierter aber auch polemisch argumentiert.

Anmerkung zur redaktionellen Politik des MDÜ

Ich wollte konstruktiv und zukunftsorientiert einen wesentlichen Beitrag für jeden Berufsausübenden bringen und zwar zur Messung der sprachlichen Komplexität und damit gegen die verbandsgeförderte Reduzierung unserer Leistungen auf Zeilen und Wörteranzahl ankämpfen, als ob Übersetzer gehobene Schreibkräfte wären. Dieser Vorsatz ist mir von der MDÜ-Redaktion verwehrt worden, dafür aber der vorangestellte Leserbrief (mit Längevorgabe: Umfang ca. 3.400 Zeichen (inkl. LZ)) zugestattet.

In einer E-Mail vom 8. Oktober 2019 habe die Redakteurin Frau Eichner mitgeteilt, sie habe „eine fachliche Begutachtung durch Personen mit Expertise im jeweiligen Bereich“ veranlasst. Es handelt sich hier wohlbemerkt um Menschen, die mit dem kritisierten Ansatz Geld verdienen! Soviel für „Peer Review“!

Mein Essay — http://www.language-for-clarity.de/deutsch/zur_Messung_d_sprachl_K.html — wurde u.a. wegen „seiner sehr polemisierenden Grundhaltung nicht dem Stil einer Fachzeitschrift, wie es das MDÜ ist“ abgelehnt.

Jetzt weiß ich, weshalb das MDÜ für mich und wohl auch Andere kaum lesenswert ist bzw. war.

Anstatt den ärmlichen sprachlichen Stil vieler Beiträge anzuprangern, wollte ich nebenbei ein Gegenbeispiel geben, wie m.E. anregend, herausfordernd und doch inhaltlich wertvoll geschrieben werden kann. Die Stilpolizei habe hier nichts zu suchen.

Frau Brigitte Eichner weiter: „Auch sehe ich die Argumentationskette häufig als eher willkürlich – Beispiel Stundensatz: von Ihnen als "Notlösung", mit "rhetorischem Charakter" dargestellt – wieso, erschließt sich mir nicht. Warum soll ein Modell, das in einer Vielzahl von Branchen praktikabel ist, angewandt wird und offensichtlich auch funktioniert, für uns einfach so "ausfallen" – bzw. zumindest nicht wert sein, dass man es eigehender prüft und diskutiert? Hier gibt es durchaus sachlichere Argumente.

Wenn die Dame ein wenig weiter gelesen hätte: „Die Notlösung einer Abrechnung nach Stunden hat rein rhetorischen Charakter und somit fällt sie aus. Der Kunde kann die Anzahl der Stunden kaum kontrollieren, ebenfalls nicht, wie intensiv oder produktiv diese geleistet werden, noch wissen alle Übersetzer, wie lange sie tatsächlich an einer Aufgabe mit welcher Aufmerksamkeit gesessen haben. Man kann für sich, je nach Arbeitspersönlichkeit, die Stunden (oder Tage) gern zu Gegenkontrolle protokollieren. Ob 10(0) Stunden zu €50 oder 5(0) Stunden zu €100 ist letztlich eine Sache der Positionierung: vielleicht bei dem einen Kunden erstes, bei einem anderen letzteres.“

Es stimmt keineswegs noch ist es offensichtlich, dass „die Berechnung nach Stunden in einer Vielzahl von Branchen praktikabel ist“ bzw. funktioniert. Das wäre aber ein Thema für einen getrennten Aufsatz gewesen. Hier erweist sich Frau Eichner sich als besonders beschränkt.

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Brief veröffentlicht ca. Ende 2018 im MDÜ

Ein Dauerproblem für uns Freiberufler besteht darin, dass unsere Kunden – also vorwiegend die Unternehmen – kein Gedächtnis pflegen. Wer von uns hat nicht die Erfahrung gemacht, von Kunden voller Freude wiederentdeckt zu werden, für die wir Jahre vorher gut zusammen gearbeitet haben? Die Personen, die uns aufgrund unserer Kompetenz, Zuverlässigkeit und Preisstellung Aufträge vergeben haben, sind weitergezogen und somit auch fast jede Spur von uns. Denkbar ist, dass in Ausnahmefällen Aufzeichnungen gemacht werden, die aus verständlichen Gründen Verschlusssache bleiben, mit negativen und falschen Inhalten über unsere Kompetenz, Zuverlässigkeit und Preisstellung. Sogar dies wäre für uns aber besser, als der Reinfall, der uns die DSGVO beschert. Jetzt schrieb mir ein neuer Kunde, ob er meine Daten behalten darf. Ich muss nun befürchten, dass andere meine Kontaktdaten vernichten. Von vorne anfangen. Wenn schon, dann lieber die äußerst inkompetente und arrogante Europäischen Kommission auflösen und dort einen Neuanfang machen. Man hätte nämlich eine DSGVO leicht erstellen können, die halbwegs vernünftig wäre. Da wären u.a. Sprachexperten gefordert gewesen. Dass man Grundbegriffe eng und praxisnah definiert, zum Beispiel, anstatt salopp und missverständlich.