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Grundsätze ordnungsmäßiger Übersetzung
Translation Policies
Mit Gruß ☺ an die „Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung“— und somit auf den Bereich Bilanzen zugeschnitten. Aber auch als Erörterung allgemeiner Übersetzungsfragen.
Veröffentlicht im Jahre 2007, durchgesehen & leicht geändert im April 2022.
Ca. 2000 Wörter.
Wie wortgetreu, wie frei?
Hier die Überschriften als Vorbote:
• Keine Vereinfachung, karge Kommentare
• Keine Anbiederung bei der Anpassung
• Überladung & Redundanzen
• Die Gassenkinder
• Logik
• Zeitformen
• Keine Mischung der Dialekte
• Wortwahl
• Das verflixte Vorjahr
Keine Vereinfachung, karge Kommentare
Es ist in diesem Bereich normalerweise nicht die Aufgabe einer Übersetzung, Texte
zu vereinfachen, noch soll sie über ein Mindestmaß hinaus die Texte erläutern. D.h.
es ist auch nicht Aufgabe einer Übersetzung, den Text neu zu schreiben, zu verkürzen
oder sonst redaktionell einzugreifen. Das kann alles gelegentlich notwendig sein, vor
allem dann, wenn der Ausgangstext schlecht geschrieben ist, was nicht selten der Fall
ist. Eine redaktionelle Überarbeitung kann im Prinzip in Auftrag gegeben werden,
kommt aber bei Finanztexten und insbesondere bei solchen, die von
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften in Auftrag gegeben werden, kaum vor. Diese
Texte haben meistens einen halbwegs juristischen Hintergrund, und auch aus diesem
Grunde ist es erforderlich, möglichst wenig an den Inhalten zu ändern. Bei dieser Art
aufwendiger Sätze, die ja viele abstrakte Begriffe in grammatikalisch komplizierten
Strukturen einbetten, zeigt die Erfahrung obendrein, daß, wenn man doch ein paar
Sätze relativ „frei“ übersetzt, spätere Passagen nicht mehr mit dem Ganzen
übereinstimmen, denn die Bezüge gehen durch die Losgelöstheit vom Original
verloren. Es ist nämlich leicht, ein paar Sätze nur sinngemäß zu übertragen: es geht
aber um eine Gesamtheit, und diese Gesamtheit frei zu übertragen, ohne stark zu
verkürzen oder überarbeiten, wäre viel zeitaufwendiger als jede schlichte Übersetzung. Es
hieße letztlich, einen ähnlichen Text wie das Original zu verfassen. Diese
Vorgehensweise mag sich für PR-Texte eignen, nicht aber für teils juristisch
verankerte Finanztexte. Auch wenn noch ein „Waiver“ mit Hinweis auf die
Alleingültigkeit der deutschen Vorlage beigegeben wird, sollte nicht von vornherein so übersetzt werden, als ob die Übertragung gar nicht stimmen müsste.
Stil und Vollständigkeit
Damit die Übersetzung für den Leser nützlich ist, muss sie daher alle wesentlichen
semantischen Elemente wiedergeben. Dabei soll der Schreibstil einheitlich sein,
denn unterschiedliche Stile bei dieser Textgattung wirken verwirrend und halten den
Leser auf. Wenn mehrere Autoren an dem Ausgangstext gearbeitet haben und somit
dieser uneinheitlich wirkt, sollte die Übersetzung trotzdem dies nicht allzu sehr
erkennen lassen. Das heißt, der Übersetzer soll stilistisch schon eingreifen
Abgesehen von den praktischen Erfordernissen der Arbeit kommt dem Übersetzer
ohnehin eine berufsmäßige Verpflichtung zu, sprachlich die Begebenheiten vorbildlich wiederzugeben, soweit Ausgangstext und Zeitrahmen dies zulassen. Denn wer soll sonst für die gute Sprache sorgen, wenn nicht vorrangig Menschen, die die Sprache als Beruf ergriffen haben?
Es kommt aber trotzdem vor, daß an der einen oder anderen
Stelle eine zusätzliche Deutung angebracht ist, vor allem deshalb, weil der
ausländische (nicht-deutsche) Leser vom Fach sich bei den juristischen oder landesspezifischen
Begebenheiten womöglich nicht auskennt.
Keine Anbiederung bei der Anpassung
Eine Sprache wird immer in einem kulturellen Zusammenhang gesprochen. Das bedeutet mitunter, daß verschiedene Aussagen überhaupt zum Ausdruck kommen oder ähnliche Aussagen in der einen Sprache öfters, in der anderen Sprache seltener ausgesprochen werden. Dies hängt mit der Leichtigkeit (oder Umständlichkeit) zusammen, mit der eine Aussage in der jeweiligen Sprache gebracht werden kann.
Zum Beispiel: Auf deutsch ist es nicht üblich, jemanden „Guten Nachmittag“ zu
wünschen, dafür aber „Guten Tag“ oder „Guten Abend“. Dagegen ist auf englisch „Good afternoon“ gang & gäbe, „Good day“ weniger verbreitet. Die Sprache ist trotzdem nicht an die heimatlichen Gepflogenheiten gebunden, im Gegenteil, sie ist
immer dabei, sich zu ändern. „Ich wünsche Ihnen einen schönen Nachmittag“ ist einwandfreies Deutsch.
Ein auf deutsch erstellter Bericht über Begebenheiten in Deutschland
muss sich demzufolge auch in der englischen Übersetzung nicht so lesen,
als ob er etwa im Vereinigten Königreich oder in den USA über ein
englisches oder amerikanisches Unternehmen erstellt worden wäre.
Erstens wäre das fachlich unrichtig, denn der juristische Hintergrund hierzulande ist
wesentlich anders als in der angelsächsischen Welt, und es würde entsprechend eine
Verfälschung stattfinden. Zweitens aber geht es um das deutsche Selbstbewusstsein:
Die bundesdeutsche Gesetzgebung, Wirtschaftsordnung und Rechnungslegung sind
nicht insgesamt der angelsächsischen Ordnung unterlegen und es muss nicht so getan
werden, als ob die angelsächsische Welt alles besser durchdacht und formuliert
hätte. Überdies ist die englische Sprache, die besonders stark im Wandel begriffen
ist, wendig genug, um verschiedene Ansätze zum Ausdruck zu bringen
Ein Beispiel zeigt sich anhand der Übersetzung von „GoB“, der „Grundsätze
ordnungsmäßiger Buchführung“: (i) „[German] Principles of proper accounting“
oder (ii) „German generally accepted accounting principles“. (i) ist eine Übersetzung in einwandfreies verständliches Englisch, das sehr gelungen die deutsche Denkweise vermittelt, und eben deshalb keine geläufige Ausdrucksweise. (ii) ist eine
Beschreibung (eine Deutung) von dem, was die GOB in Deutschland darstellen. Sie
ist aber auch irreführend, denn sie erweckt den Eindruck, als ob diese Grundsätze
institutionell genau so eingebettet wären, wie die entsprechenden Grundsätze in
England oder den USA. Überdies erweckt (ii) den Eindruck, die Deutschen möchten
gerne wie Briten oder Amerikaner auftreten. Warum sollten sie aber nicht als
Deutsche auftreten?
Überladung und Redundanzen
Ein Satz, der im Original etwas überladen ist (d.h. der zu viele Elemente besitzt),
kann in der Übersetzung erst recht unverständlich oder unleserlich wirken. In
diesem Fall ist es sinnvoll, Elemente, die sich bereits im Satzumfeld befinden (d.h.
einige Zeilen bzw. Sätze weiter oder einige Zeilen vorher) wegzulassen. Im Deutschen
wiederholt man besonders gerne, was bereits mehrfach vorher gesagt wurde: das geschieht
wohl auch, wenn mehrere Autoren an einem Text arbeiten oder auch weil bei der
Überarbeitung Textteile hinzugefügt oder entfernt werden und der Blick für das
Ganze verlorengeht.
Die Überladung von Sätzen ist meistens auch mit der Häufung von Redundanzen
verbunden. Es kann gelegentlich die Auffassung beim Leser durchaus unterstützen,
wenn ein bereits angesprochener Gedanke geschickt in Erinnerung gebracht wird
und dabei vielleicht ein wenig umformuliert wird. Derartige Wiederholungen müssen
aber geschickt und sparsam vonstatten gehen.
Im Deutschen ist man im übrigen toleranter in Bezug auf Redundanzen als im
Englischen. Man meint gerne, die Wiederholung würde eine Aussage bekräftigen. Im
Englischen aber gelten Redundanzen als schlechter Stil bzw. werden sie als
zusätzliche semantische Einheiten aufgefasst, womit sie dann verwirrend wirken.
Es ist im übrigen nicht einfach, Redundanzen bei aufwendig formulierten Sätzen zu
erkennen. Man muss sich jeweils fragen, ob hier eine wesentliche Nuance hinzukommt oder doch nur ein Füllwort.
Die Gassenkinder
Die Handhabung der vielen verstärkenden Partikel wie „doch“, „noch“, „auch“,
„aber“ ist eine Sache für sich, wie auch die Übersetzung oder Nicht-Übersetzung von
Wörtern wie „insbesondere“ „immer“, „jeweils“, „betreffende“, „insgesamt“ u.v.a.m.
Meistens sagen diese kleinen Wörter nichts aus, was sich nicht ohnehin aus dem
Kontext versteht, und insoweit brauchen sie gar nicht übersetzt zu werden. Wenn ein
Wort wie „insbesondere“ mehrfach vorkommt, wird es nach & nach nicht mehr ernst genommen. Was auf Deutsch eine kleine stilistische Schwäche in der
Formulierung darstellen mag, kann auf Englisch gleich den ausgeprägt schlechten
Stil ausmachen. Die beste Vorgehensweise besteht deshalb darin, diese ganzen
kleinen Wörter in der Übersetzung zuerst wegzulassen, um anschließend im
Rahmen eines Lektorats des Ganzen einige neu je nach den Erfordernissen
einzusetzen. Somit erreicht man einen Endtext, der sowohl nüchtern wie auch
aussagekräftig ist.
Logik
Es gilt die Schwerpunktaussage eines Satzes festzustellen, und in der Übersetzung
diesen Schwerpunkt eben in den Mittelpunkt zu stellen. Nebenaussagen müssen
dann leicht verständlich, vor allem mit den richtigen Bezügen, um diese Kernaussage
organisiert werden. Dazu werden z.B. deutsche Substantiven in englische Verben
verwandelt, aber auch mal umgekehrt. Die Satzstellung kann sich ebenfalls stark
ändern; und so weiter.
Zeitformen
Im Deutschen geht man bekanntlich weniger genau als im Englischen mit den
Zeitformen um bzw. es gibt von Beginn an weniger Zeitformen; und auch diejenigen,
die es gibt, werden bis auf zwei oder drei kaum gebraucht. Zum Teil wird dieser
Mangel durch Adverbien wie „schon“, „bereits“ und „zukünftig" ausgeglichen.
Trotzdem sieht sich der Übersetzer immer wieder vor der Frage, ob eine Begebenheit
als bereits vergangen, gegenwärtig oder zukünftig gemeint ist.
Bei Finanztexten kommen weitere Fragestellungen hinzu. Wenn über eine Bilanz
berichtet wird, liegt das Abschlussdatum zeitlich in der Vergangenheit, gedanklich
aber wird darüber geredet, als ob die Bilanz gegenwärtig wäre. Diese zeitliche
Spaltung kommt bei anderen Wirtschaftstexten ebenfalls vor, z.B. bei Lageberichten,
in denen häufig über Begebenheiten so geschrieben wird, als ob sie der Zukunft
angehören, obwohl offensichtlich ist, daß sie inzwischen der Vergangenheit
zuzuordnen sind. Im Anhang wird über die Handhabung von Transaktionen im
Berichtsjahr oder im Vorjahr berichtet, wobei die allgemeinen Aussagen ohne
zeitlichen Bezug zu gelten haben, denn die Ansatz-, Ausweis- und
Bewertungsmethoden dürfen grundsätzlich nicht oder nur selten geändert werden
und insoweit sind sie „immerwährend“.
Diese Problematik besteht in beiden Sprachen. Innerhalb eines einzigen deutschen
Textes kommt es außerdem öfters vor, insbesondere wenn mehrere Autoren daran
beteiligt waren, daß der Gebrauch der Zeitformen ohnehin inkonsequent ist, mit ständiger Abwechslung zwischen Vergangenheit und Präsens, ohne daß dies sich begründen ließe.
Keine Mischung der Dialekte
Wenn verschiedene Sprechweisen und grammatikalische Strukturen vermischt
werden, bauen sich beim Leser immer wieder falsche Erwartungen auf. Diese
Verunsicherung verlangsamt den Lesefluss und wirkt irritierend. Das kann auf
Satzebene oder Wortebene geschehen. Auf Satzebene besteht die Schwierigkeit darin,
daß der Beginn der Hauptaussage nicht sofort erkennbar ist (man denkt, manchmal
zu recht, daß die vielen Aussagen noch zum vorspannenden Nebensatz gehören). Auf
Wortebene kommt es vor, wenn ein Wort, das man im Kontext sonst etwa als
Substantiv kennt, auf einmal als Verb benutzt wird.
Wortwahl
Es hat Jahrzehnte wenn nicht Jahrhunderte an Verschleiß, Vernachlässigung,
Missbrauch, Angeberei und Verschleierung bedürft, um die
Rechnungslegungssprache unserer beiden Mundarten in den Wirrwarr zu versetzen, in denen sie sich befinden. Man braucht nur etwa Begriffe wie „Anlage“ oder, auf Englisch, „provision“ zu überprüfen, um sich dies vor Augen zu führen. Nach & nach setzen sich Reparaturarbeiten durch, wobei an anderer Stelle wiederum neuer Unfug begangen wird.
Ausführliches zu diesem Thema befindet sich unter http://www.language-for-clarity.de/deutsch/glossar.html
Zum guten Letzt: Das verflixte Vorjahr
Der Vergleich zum Vorjahr ist zu einem regelrechten Mantra geworden, auch dann,
wenn der Vergleich bekanntlich ohne Bedeutung ist. Die Vorgabe, die jeweiligen Zahlen immer mit denjenigen des Vorjahres bzw. des Vorjahreszeitraumes zu vergleichen, ist wohl juristisch verankert. Muss aber an die Vergleichsgrundlage wirklich in fast jedem Satz erinnert werden? Würde es nicht vollkommen ausreichen, auf die Vergleichsperiode z.B. einmal pro Abschnitt, oder
einmal alle fünf Sätze, hinzuweisen. Zum Beispiel: „.... revenues rose by 5% (as
always all comparisons, unless otherwise indicated, are with the comparable period
of the prior year).“
Die ständige Wiederholung der Referenzperiode, auch wenn man sich viele
Alternativformulierungen einfallen lässt (z.B. „year-on-year“), wirkt ermüdend, lenkt von der eigentlichen Aussagen ab und sorgt für schlechten Stil und überladene Sätze.
Kritisiert wird hier nicht, daß Vorjahreszahlen (etwas in Klammern) im Satz
angeführt werden, sondern, daß nichts steigen und nichts fallen darf, ohne zum hundertsten Mal zu schreiben, worauf die Steigerung oder die Senkung sich bezieht.
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